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Pink Apple - das 1. Schwullesbische Thurgauer Filmfestival - wurde von Regierungsrärin Vreni Schawalder eröffnet. Die Rede:

Filmfestival "Pink Apple" Freitag, 8.Mai 98

Als Vorsteherin des Departementes für Erziehung und Kultur bin ich hierher gekommen, um eine kulturelle Veranstaltung zu eröffnen, wie ich das schon unzählige Male getan habe. Noch nie aber löste die Ankündigung meines offiziellen Auftritts schon vorher Reaktionen aus - positive oder negative - wie diesmal bei "Pink Apple". Ich wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, ich demontierte mit meiner offiziellen Begrüssung die Institutionen Familie und Ehe und propagierte die Unmoral. Ich möchte hier klarstellen: Ich eröffne ein Filmfestival, bei dem es um ein Thema geht, das viele Emotionen und Diskussionen auslöst, aber solche Diskussionen und Emotionen gehören zu einem vielfältigen Kulturleben.

"Man möge bedenken, dass man andere ertragen soll, wie man selbst ertragen zu werden wünscht, aber das ist eben der Teufel der Menschen, dass selten jemand glaubt, dass die andern auch etwas an ihm zu ertragen hätten." Diese Worte von Jeremias Gotthelf, dem grossen Schriftsteller und Kenner des menschlichen Charakters, dünken mich für das menschliche Zusammenleben von fundamentaler Bedeutung zu sein. Sich in andere hineinfühlen zu können, sich selber mit den Augen anderer sehen zu lernen, sich eigener Fehler und Unzulänglichkeiten bewusst zu werden, das würde unser Zusammenleben entkrampfen und manche Gesetze und Vorschriften unnötig machen. Kurz: Wir sollten toleranter im besten Sinne des Wortes werden, nicht nur nachsichtig und duldsam, sondern weitherzig und entgegenkommend, diese Bedeutung hat das Wort "tolerant" nämlich auch. Schon der wortgewaltige Mirabeau stellte vor etwa 200 Jahren vor der Französischen Nationalversammlung fest:"Es ist schon Intoleranz, von Toleranz zu sprechen!" Wenn also über Toleranz gesprochen werden muss, beweist dies, dass es damit nicht zum besten steht.

Gegenwärtig ringen die Eidgenössischen Räte um den Text der neuen Bundesverfassung. Am 19.März 1998 las ich dem Sinn nach im "Tagesanzeiger": Der Ständerat war gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Präzisierung im Diskriminierungsartikel. Er kürzte diesen auf zwei Sätze, es heisst nur noch: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf diskriminiert werden.

Der Nationalrat hingegen befürwortete den Entwurf des Bundesrates, der auch Diskriminierungen wegen psychischer Behinderung sowie wegen "der Lebensform" verbietet. Diese Formulierung schütze Konkubinatspaare und Fahrende ebenso wie Schwule und Lesben, meinte der Kommissionssprecher. Vergeblich machte Nationalrat Hanspeter Thür geltend, fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung seien als Schwule und Lesben massiven täglichen Diskriminierungen, ja oft auch Gewalttätigkeiten ausgesetzt und seien deshalb zu ihrem Schutz am dringendsten auf die namentliche Erwähnung in der Verfassung angewiesen.

Die Widerstand des Parlaments gegen diesen Vorstoss erstaunt nicht. In unsererem Kulturkreis wurde Homosexualität lange totgeschwiegen, obwohl homoerotisch ausgerichtete Menschen oft bedeutende kulturelle Leistungen erbrachten und erbringen. Auf den speziellen "Schutz der Verfassung" wären allein im Thurgau rund 10 000 Menschen angewiesen. "Das sind etwa gleich viele Menschen, wie in der Landwirtschaft beschäftigt sind." heisst es im Prospekt. (Wem würde es übrigens einfallen, diese Menschengruppe auszugrenzen?) Solche Zahlen und Vergleiche verdeutlichen, dass Schwule und Lesben auch in unserem ländlichen Kanton eine nicht unbedeutende Minderheit sind.

"Und so nimmt also die Thurgauer Regierung zum ersten Mal in der 200jährigen Geschichte des freien Thurgaus hochoffiziell und ausdrücklich von dieser Tatsache Kenntnis." So pathetisch und ironisch formulieren es die Organisatoren in ihrem "anmächelig" gestalteten Programm. Dazu will ich nur bemerken, dass wir nicht jede Eröffnung eines kulturellen Anlasses im Regierungsrat diskutieren, dass es aber keine Einwände meiner Kollegen gab gegen meine Zusage, "Pink Apple" zu eröffnen.

Wie man sich als benachteiligte und oft auch ausgegrenzte Minderheit fühlt, habe ich, wie wohl alle hier Anwesenden, schon selber erfahren. Immer wieder gehören wir, gewollt oder ungewollt, zu einer Minderheit, sei dies nun sozial, religiös, politisch oder ethnisch.

Wir wissen, dass viele Menschen auf Unbekanntes und Andersartiges feindselig reagieren, oft auch nur stumm verurteilend. Das Fremde und Ungewohnte löst diffuse Ängste und Befürchtungen aus. Darum wird Vorurteilen und Diskriminierungen am wirkungsvollsten durch persönliche Kontakte begegnet, sei es nun im Umgang mit Aids-Patienten, mit drogenabhängigen Menschen, mit Kranken, mit Menschen mit einer Behinderung, mit religösen oder politischen Minderheiten. Ausgrenzung ist nie ein geeignetes Mittel, um diese diffusen Ängste gegenüber Ungewohntem und Fremdem zu überwinden.

Pink Apple, das 1.Schwullesbische Thurgauer Filmfestival, will ein integratives Miteinander erleichtern und Berührungsängste sowie Vorurteile abbauen. Es bietet Möglichkeiten zu Begegnungen zwischen Heteros, Schwulen und Lesben. (Erst jetzt lerne ich, diese Wörter ohne Hemmung auszusprechen, früher versuchte ich, diese Wörter zu umgehen!) Der Weg zur eigenen Identität ist gerade für Schwule und Lesben besonders schwierig. In diesem "Coming Out"-Prozess ist positive Identifikation wichtig und hilfreich. Dazu liefert in jüngster Zeit nicht zuletzt der Film überzeugende Vorbilder, die sich wohltuend abheben von der lange Zeit verklemmten und Vorurteile bestärkenden Art früherer Jahre.

Im Vorfeld dieser Veranstaltung machte ich eine eigenartige Erfahrung. Ich kam mit Menschen ins Gespräch, die ich nie mit Homosexualität in Verbindung gebracht hatte. Für mich waren sie einfach unverwechselbare Persönlichkeiten. Nachdem sie mir ihr Anderssein offengelegt hatten, schätzte ich sie nicht weniger, im Gegenteil, ihre Ehrlichkeit beeindruckte mich. Ich glaube, ich kann sie jetzt auch besser verstehen.

Vor noch nicht allzulanger Zeit wäre es undenkbar gewesen, dass sich jemand in unserm ländlichen Kanton so offen zu seiner Homosexualität bekannt hätte. Ich weiss von einer Frau, die mit einem schwulen Mann befreundet war, ohne allerdings vorerst von seiner homosexuellen Neigung zu wissen. Die Beziehung brach dann auseinander, angeblich, weil der Mann als guter Katholik niemals eine Protestantin heiraten durfte. Tatsächlich aber hatte er die Frau nur als Tarnung benutzt, um so seine Homosexualität verbergen zu können. - Glücklicherweise gehören solche für alle Beteiligten entwürdigenden und gar krankmachenden "Versteckspiele" mehr oder weniger der Vergangenheit an.

Wenn aus der Verhärtung der vergangenen Jahre allmählich ein unverkrampftes Neben- und Miteinander wird, sind wir auf dem richtigen Weg. Dann begegnen wir einander mit dem Respekt und jener Unvoreingenommenheit, auf die jede und jeder Anspruch hat. In erster Linie sind wir dann Menschen, nicht Schwule, Lesben oder Heteros. Wenn ich mit jemandem zu tun habe, steht für mich, und ich denke, es geht Ihnen nicht anders, nicht seine geschlechtliche Ausrichtung im Vordergrund, sondern seine geistig-psychische Individualität, seine Menschlichkeit.

Der Staat soll, kann und darf seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht vorschreiben, wie sie zu leben, zu denken, zu fühlen und zu handeln haben. Solange sie sich an die Gesetze halten und das Wohl der Mitmenschen nicht beeinträchtigen, darf dies kein Thema sein. Ein Abirren von dieser klaren Linie kann zu schrecklichen Fehlentwicklungen führen, wie uns die Geschichte lehrt, vor allem auch die jüngste Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus.

Schon im Jahre 1740 bekannte Friedrich der Grosse stolz: "In meinem Staate kann jeder nach seiner Fasson selig werden." Diese liberale Grundhaltung muss meiner Meinung nach auch heute noch gelten. Leben wir ihr deshalb nach! Wenn mit diesem Filmfestival Klischees ausgeräumt, Diskriminierungen abgebaut, intensive Diskussionen ausgelöst und Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden können, hat sich das Engagement des Organisationskomitees gelohnt. Ich wünsche Ihnen und uns allen viel Mut und Erfolg auf dem Weg zu mehr Toleranz und Mitmenschlichkeit!

Vreni Schawalder, Regierungsrätin


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7. Juni 98 / Pink Apple